Eine Hallig-Lore wird elektrisch
Die E-BahnAuf der Hallig Nordstrandischmoor tuckern seit den 1930er-Jahren dieselbetriebene Loren über den Lorendamm. Heute benutzen die Einwohner die kompakten Schienenfahrzeuge als privates Verkehrsmittel. Mit Hilfe der E-Mobilitätsspezialisten von Linde eMotion wurde eines von ihnen auf Elektromotor umgerüstet.
Wenn die Bewohner von Nordstrandischmoor ihren Wocheneinkauf erledigen oder ihre Feriengäste vom Festland abholen, qualmt und ruckelt es manchmal sehr. Auf der kleinen Hallig mitten im schleswig-holsteinischen Wattenmeer fährt man nämlich nicht mit dem Auto, sondern mit der Lorenbahn. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Hallig weitestgehend isoliert, bis sie anno 1934 durch einen Damm mit dem Festland bei Cecilienkoog verbunden wurde. Über den Damm führt eine Feldbahn mit 600 Millimetern Spurweite, über die einst Baumaterial auf die Hallig gelangte.
Heute betreibt der Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein die Strecke und befährt sie regelmäßig mit Bauzügen. Auch die rund 20 Bewohner von Nordstrandischmoor nutzen die Bahngleise. Jeder Haushalt besitzt eine eigene Eisenbahn-Draisine, im Volksmund Lore genannt, mit der die Einwohner die Strecke privat befahren dürfen.
Traditionell werden die Fahrzeuge durch dieselbetriebene Verbrennungsmotoren angetrieben. Das wirkt zwar urig und original, hat aber einen Schönheitsfehler: Nordstrandischmoor ist vom Naturschutzgebiet Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer umgeben und so mancher fragt sich, ob es keine umweltschonende Alternative zu den CO2-intensiven Verbrennern gibt. Die gibt es in der Tat. Und sie ist elektrisch.
Die Lore wird e-mobil
Anfang 2019 machten sich die Halligbewohner Gerd-Walter und Thore Siefert,zusammen mit dem Ingenieurbüro Reck Elektrofahrzeuge aus Ober-Ramstadt daran, eine private Hallig-Draisine mit einem modernen Elektromotor auszurüsten. „Der Elektroantrieb hat viele Vorteile für die Lore“, erklären die Initiatoren. „Der E-Motor macht das Fahrzeug leiser und umweltfreundlicher. Außerdem besteht keine Gefahr durch auslaufenden Diesel. All das passt besser zu Fahrten durch einen Nationalpark.“
In Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Reck wählten die Ingenieure von Linde eMotion für das Fahrzeug einen Elektromotor aus, der ursprünglich einem völlig anderen Zweck diente. "Vor seiner Zeit als Draisinen-Antrieb war er als Pumpenmotor in einer mittlerweile ausgelaufenen E-Stapler-Reihe von Linde im Einsatz", erklärt Sandra Hans, die als Applikationsingenieurin bei Linde eMotion das Projekt betreut.
Für seine neue Aufgabe braucht der ehemalige Staplermotor vor allem eines: genügend Kraft. „Ein entscheidender Faktor für die Wahl des Motors war, dass die Lore regelmäßig bei starkem Gegenwind fahren muss und noch dazu eine verhältnismäßig große Angriffsfläche bietet. Deshalb haben wir uns für eine größere Auslegung des Motors entschieden. Die restlichen Komponenten ergaben sich dann aus der spezifizierten Batteriespannung und dem ausgewählten Motor“, erklärt Sandra Hans.
Alles außer der Batterie
Nachdem die Entscheidung für einen passenden Motor gefallen war, fügte das Projektteam weitere Linde-Komponenten zum E-Antrieb der Lore hinzu. „Abgesehen von der Batterie haben wir in diesem Fall den kompletten elektrischen Antrieb, also Zentralelektrik mit Fahrzeugschütz, Ladeschaltung, Sicherungen, Relais, sowie die Fahrsteuerung mit Joystick und eine Ladestandsanzeige für die Batterie zusammengestellt“, erinnert sich Sandra Hans.
Um den Antrieb perfekt auf die Lore abzustimmen, nahmen die Ingenieure von Linde eMotion kleinere Veränderungen an der Steuerungssoftware des Fahrzeugs vor. Beispielsweise ergänzten sie eine Funktion, die das Fahrzeug bei angeschlossenem Ladestecker am Losfahren hindert. Die Batterie der Lore ist auf eine Reichweite von 24 Kilometer ausgelegt. Unter normalen Voraussetzungen kann damit die rund vier Kilometer lange Strecke vom Festland bis zur Hallig sechsmal gefahren werden.
Erst der Anfang?
Den neuen Elektromotor am Laufen zu halten, sollte für Gerd-Walter und Thore Siefert kein größeres Problem sein, meint Sandra Hans: „Da Elektromotoren in der Regel wartungsfrei sind, erwarten wir keinen großen Wartungsaufwand.“ Zur Sicherheit stattet Linde den PC der Lorenbesitzer mit der Diagnosesoftware „cOdi“ aus, um Fehler der Fahrsteuerung auslesen und die relevanten Signale der Fahrsteuerung diagnostizieren zu können.
Bisher wurde erst eine der Loren von Diesel auf Elektro umgebaut. Das könnte sich aber bald ändern: „Die Draisine, die aktuell für Nordstrandischmoor umgerüstet wurde, ist erstmal ein Prototyp“, so Hans. „Da aber in der Gegend insgesamt zwölf solcher Hallig-Loren im Einsatz sind, besteht durchaus die Möglichkeit, künftig noch weitere Verbrenner durch unsere elektrischen Antriebe zu ersetzen.“