Ein Blick auf 50 Jahre Elektrostapler
Nischenprodukt goes KlimaretterHeute gilt der Elektroantrieb als Hoffnungsträger für den Klimaschutz. Das war nicht immer so. Als Linde Material Handling 1971 den ersten Elektrostapler vorstellt, fristet die Technologie ein Nischendasein. Dabei stehen die Zeichen schon damals auf Umweltschutz.
Manchmal beschert uns die Geschichte erstaunliche Zufälle. Ereignisse, die in ihrer eigenen Zeit scheinbar unverbunden nebeneinanderstehen, in der Rückschau aber geradezu prophetisch verflochten wirken. Ein solcher Zufall ereignet sich im Jahr 1971, das Historikern als Geburtsstunde des deutschen Umweltbewusstseins gilt.
Im September verabschiedet die sozialliberale Regierung unter Willy Brandt das erste politische Umweltprogramm, während fast zeitgleich im Oberrheingebiet eine der ältesten deutschen Umweltinitiativen entsteht. Umweltschutz bedeutet damals vor allem, Schäden der industriellen Luft- und Wasserverschmutzung zu beheben. Von modernen Überlegungen zu Klimaschutz durch emissionsfreie Mobilität ist man noch weit entfernt.
Die Anforderungen der Intralogistik sind ganz andere als die der Straße. Für solche Einsätze waren die dreckigen, lauten Verbrenner schon damals nicht mehr geeignet.
Während das ganze Land erstmals über Naturschutz und Ökologie spricht, ereignet sich abseits der großen Öffentlichkeit etwas, dessen späteren Beitrag zur Umweltdebatte noch keiner ermessen kann. Auf der Hannover Messe 1971 stellt Linde Material Handling seinen ersten batteriebetriebenen Stapler E10 – E15 vor. Was damals wie eine unscheinbare Produkteinführung wirkt, legt in Wahrheit den Grundstein für die industrielle Breitenanwendung einer Technologie, ohne die Klimaschutz in der Intralogistik heute nicht zu machen wäre.
Bescheidene Anfänge, beständige Verbesserung
Dass Linde Anfang der 70er Jahre auf Elektro setzt, hätte nur wenige Jahre zuvor wohl kaum jemand vorhergesagt. Denn zu diesem Zeitpunkt fristet die Technologie seit Jahrzehnten ein trauriges Nischendasein. Noch um 1900 die dominierende Technologie für Fahrzeugmotoren, hatten politische und gesellschaftliche Entwicklungen der vielversprechenden E-Mobilität vorübergehend den Garaus gemacht.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts flutet die aufstrebende Öl-Lobby den Markt mit billigem Benzin. Schnell wird der Verbrenner zum Produktionsstandard der Automobilisten, der röhrende, qualmende Motor zum Statussymbol. Für den niederländischen Technikhistoriker Gijs Mom waren es vor allem diese kulturellen Faktoren, die die Verbreitung der frühen E-Autos verhinderten.
Die kommenden Dekaden zementieren das Dogma des alternativlosen Verbrenners. Die Idee seiner Unausweichlichkeit steckt so fest in den Köpfen, dass nicht einmal die Ölkrise der 1970er Jahre dem E-Antrieb zum Comeback verhilft. Wieso also greifen Linde-Ingenieure damals auf eine Technologie zurück, die von den Automobilisten gemieden und jahrzehntelang kaum weiterentwickelt wurde?
„Die Anforderungen der Intralogistik sind ganz andere als die der Straße“, erklärt Stefan Prokosch, Senior Vice President Brand Management bei Linde Material Handling. „Dank einer boomenden Logistik hielt der Stapler Ende der 1960er Einzug in die Lagerhallen. Damit wuchs der Bedarf an emissionsfreien, leisen Fahrzeugen. Für solche Einsätze waren die dreckigen, lauten Verbrenner schon damals nicht mehr geeignet.“
Eine Batterie mit aufgeschraubtem Sitz
Noch heute erinnert sich Prokosch gut an die beschwerlichen Anfänge des Elektrostaplers: „Unsere Spezialität bei Linde war und ist der hydrostatische Antrieb, der die Kraft des Verbrennungsmotors für die Hubbewegung des Staplers nutzt. Deshalb waren unsere Verbrenner viele Jahre wesentlich leistungsstärker. Die Elektro-Kompetenz mussten wir uns Schritt für Schritt erarbeiten.“
Die ersten E-Stapler waren laut Prokosch nur „eine Batterie mit aufgeschraubtem Sitz“. Trotzdem verkaufen sie sich von Beginn an gut. Bereits von der zweiten Baureihe des E10 – E15 liefert Linde 70.000 Fahrzeuge aus. Mit der neuen E-Version treffen die Staplerbauer aus Aschaffenburg einen Nerv.
Wir wollten mit der Weiterentwicklung des E-Antriebs den Verbrenner technisch obsolet machen.
Befeuert durch einen florierenden Versandhandel und das Auftauchen früher E-Commerce-Plattformen erfährt die Logistikbranche in den kommenden Jahren ein nie gekanntes Wachstum. Platz in Lagerhäusern wird knapp und kostbar. In den engen Gängen randvoller Hallen spielen die E-Stapler von Linde ihre ganze technische Klasse aus: Das einzigartige Zusammenspiel aus Kombi-Lenkachse, zweimotorigem Frontantrieb und Doppelpedalsteuerung macht sie besonders wendig und produktiv.
„Schon damals konnten sich unser E-Stapler 180 Grad um die eigene Achse drehen. Beim Rangieren auf engem Raum war das ein enormer Effizienzgewinn“, erinnert sich Prokosch. „Später, im Jahr 1994, konnten wir dieses Prinzip auch auf vierrädrige E-Stapler übertragen.“
Die Lücke schließt sich
Mit den Jahren perfektioniert Linde seine Elektrostapler für den Innenbereich. Aber ein entscheidendes Manko blieb: Trotz aller Agilität und Energieeffizienz halten die Fahrzeuge nicht mit der schieren Hebekraft des klassischen Verbrenners Schritt. „Die Kapazität oberhalb von 5 Tonnen war lange Zeit eine Grenze, die im Volumensegment für E-Stapler keine Rolle spielte“, erläutert Prokosch. „Aber wir waren fest entschlossen, diese Lücke eines Tages zu schließen.“
Unermüdlich arbeiten Linde-Ingenieure daran, den E-Stapler zum Kraftpaket zu machen. Dann endlich: ein Meilenstein. Im Jahr 2015 kommen die Modelle E60 – E80 auf den Markt. Dank verbesserter Leistungselektronik, kraftvollerem Motor und stärkerer Batterie sind sie die ersten elektrischen Linde Stapler, die bis zu acht Tonnen Gewicht heben können.
Auch bei den Kunden ist die Staplerwende jetzt deutlich spürbar: Im Jahr 2016 ordern sie bei Linde erstmals mehr Elektrofahrzeuge als Verbrenner. „Wir wollten mit der Weiterentwicklung des E-Antriebs den Verbrenner technisch obsolet machen“, sagt Prokosch. „Die Zahlen zeigen, dass wir diesem Ziel mit jeder neuen Serie näher kommen.“
Den letzten entscheidenden Schritt geht Linde 2021. Mitte des Jahres kommt mit den Modellen X20 – X35 ein Elektrostapler auf den Markt, dessen Performance und Robustheit die verbliebene Leistungslücke zum Verbrenner endgültig schließt. „Linde hat hier ein Fahrzeug gebaut, das so schnell und leistungsfähig ist wie ein Dieselstapler“, konstatiert der Fachjournalist und renommierte Staplerexperte Theo Egberts in einem Testbericht.
Bleibt nur noch eines zu tun: „Aktuell arbeiten wir an elektrischen Schwerlaststaplern, die bis zu 18 Tonnen heben können“, erklärt Prokosch. „Sobald das geschafft ist, lassen sich für jede denkbare Aufgabe Elektrostapler einsetzen. Wer also für den Klimaschutz auf Verbrenner verzichten will, kann das ohne Einschränkungen tun.“
Alles Zufälle?
Das erste Mal wirkte es noch wie reiner Zufall: Als Linde 1971 seinen ersten elektrischen Stapler vorstellt, entdecken Politik und Öffentlichkeit gerade den Umweltschutz. 50 Jahre später sitzen die Nationen der Welt im Kampf gegen den Klimawandel an einem Tisch und suchen gemeinsam nach Wegen, die größte Umweltkatastrophe der Geschichte abzuwenden.
2021 haben die UN-Staaten dafür bei der Klimakonferenz von Glasgow das Regelwerk vollendet, mit dem das Pariser Klimaabkommen umgesetzt werden soll. Das gleiche Jahr, in dem Linde mit den Elektrostaplern der X-Serie vermutlich das Ende des Verbrenner-Zeitalters einläutet. Wieder Zufall?